Der Langenscheidt Verlag hat mit “Ehrenmann” das “Jugendwort des Jahres” gekürt. Wir haben mit Sprachwissenschaftlerin Dr. Marita Pabst-Weinschenk darüber gesprochen, welchen Einfluss die Jugendsprache auf den allgemeinen Sprachgebrauch hat und nachgehört, inwieweit die Musik die Jugendworte beeinflusst.
Frau Dr. Marita Pabst-Weinschenk, zurzeit wird wieder nach dem Jugendwort des Jahres gesucht. Wie bewerten Sie als Sprachwissenschaftlerin diese Wahl?
Grundsätzlich haben wir es ständig mit Sprachwandel zu tun: Verkleinerungen, Verniedlichungen, Kunstwörter, Ableitungen – das ist nichts Neues. Sprache ist wie Musik, sie ist ständig im Wandel. Wir Sprachwissenschaftler sprechen da gerne von der unsichtbaren Hand.
Inwiefern?
Tausende von Menschen verwenden ohne absichtsvolle Absprachen bestimmte Worte und Ausdrücke. Das ist nicht koordiniert. Aber genau wie in der Landschaft durch Besucher allmählich Trampelpfade entstehen, so gelangen Worte durch häufige Verwendung in den allgemeinen Sprachgebrauch. Der sprachliche Ausdruck etabliert sich.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Ja. Das Wort Selfie. Das Wort kannte niemand und wurde vorher noch nie verwendet. Es hat sich etabliert, weil es von so vielen Menschen auf der ganzen Welt immer wieder gebraucht wurde.
Sprachkritiker würden da jetzt schon wieder von einem Zerfall der deutschen Sprache sprechen.
Das ist Unsinn. Wortneuschöpfungen sind sogar gut für die Sprache. Es ist falsch, die Worte der Jugendlichen abzuwerten. Viele Kritiker wollen das bestehende System hochhalten. Sie sagen ständig, dass die deutsche Sprache nicht mehr zu retten ist, das ist völliger Unsinn. In jeder Generation gibt es Wortveränderungen und das ist auch gut so.
Sie sprachen eben an, dass Sprache und Musik viel miteinander zu tun haben. Inwieweit ist die Musik und Songtexte für den Sprachgebrauch und eben diese Jugendworte verantwortlich?
Musik beeinflusst. Viele Jugendwörter entstehen tatsächlich durch Reime und Rhythmen aus der Musik. Es gibt auch einige Rapper, die Germanistik studieren. Es lässt sich zwar nicht verallgemeinern, aber es ist schon auffällig: Viele Musiker, die ein gutes Rhythmusgefühl besitzen, haben auch ein gutes Sprachgefühl. Sie wissen, wie die Sprache funktioniert und wie sie beispielsweise Songtexte und Passagen in ihren Liedern verwenden müssen, damit sie beim Hörer gut ankommen.
Ist dann etwa auch die Musik verantwortlich dafür, wenn sich Jugendliche vulgär ausdrücken?
Das würde ich nicht sagen, vulgär ist auch viel zu wertend. Es gibt heute einfach viel weniger Tabuthemen als früher. Wir können offener und freier kommunizieren – auch in der Musik. Ob eine Sprache oder bestimmte Worte vulgär sind, hängt stark vom eigenen Standpunkt ab. Und man darf nicht vergessen: Johann Wolfgang von Goethe, der von vielen Wissenschaftlern hochgehalten wird, hat auch in seinem hessischen Dialekt gereimt und war trotzdem erfolgreich.
Wie entscheidend ist der Text eines Liedes im Vergleich zur Melodie?
Der Text entscheidet nicht allein darüber, ob uns ein Lied gefällt oder nicht. Wobei bei deutschen Songs in der Muttersprache der Texte eine viel größere Rolle spielt als bei fremdsprachlichen.
Wieso?
Die englische Sprache hat großen Einfluss und ist weit verbreitet. Viele verstehen nicht, was sie da hören. Die meisten reimen sich beim Hören irgendetwas zusammen, was nicht im Text steht und sind dann erstaunt, wenn sie die wahre Bedeutung erkennen. Grundsätzlich entscheidet nicht vorrangig der Text darüber, ob uns ein Lied gefällt, sondern die Melodie und der Rhythmus. Und in der Sprache ist es nicht anders: Klingen Worte schön, werden sie auch häufiger verwendet.
Aus den besten Einsendungen von Jugendlichen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz wählt die Redaktion des Langenscheidt Verlags die besten 30 aus. Wird damit überhaupt die Sprache der Mehrheit der Jugendlichen abgebildet?
Es ist ein demokratischer, kreativer Prozess. Jeder, der möchte, kann ein Wort einreichen. Die Bestimmung der Jugendwörter hat etwas mit der psychologischen Identitätsbildung zu tun. In einem bestimmten Alter wollen sich Jugendliche von einer älteren, etablierten Generation absetzen. Deswegen erfinden sie neue Worte. Wir leben in einer schnelllebigen Zeit, in der man nach schnellen und kurzen Antworten sucht. Deswegen waren Worte wie „yolo“ oder „lol“ auch so beliebt, sie sind kurz. Aber natürlich bildet eine solche Umfrage, nie die Gesamtheit ab.
Eine letzte Frage: Im Jahr 2008 war “Gammelfleischparty” für eine Ü-30-Feier das Jugendwort des Jahres. Was sagt das über eine Generation aus, die ihre Eltern im Grunde als Gammelfleisch bezeichnet?
Das war ganz klar eine Provokation der Jugendlichen. Der Begriff hat sich nicht durchgesetzt, was zeigt, das Worte aus dem Sprachgebrauch wieder verschwinden, wenn sie nicht verwendet werden. Und letztlich ist es so auch mit der Musik: Lieder, die uns nicht gefallen, hören wir auch nicht. Sie setzten sich nicht durch und sind auch nicht erfolgreich.
Frau Dr. Marita Pabst-Weinschenk, herzlichen Dank für das Interview!
Schon gewusst..?
2017 ist "I bims" zum Jugendwort des Jahres gewählt worden. Der Ausdruck bedeutet "Ich bin" oder "Ich bin's" und ist ein Stilmittel der "vong"-Sprache, die in den sozialen Medien entstanden ist. Als Erfinder dieses Sprachphänomens gelten der österreichische Rapper Money Boy und die Kunstfigur Willy Nachdenklich, ein Großhandelskaufmann aus Amberg in der Oberpfalz.