Ghostproducer – ein Begriff der beinahe verpönt ist, Schmach über den Artist bringt, der sich derer bedient und insgeheim auch die subjektive Wertigkeit eines DJs senken kann. Um über dieses Berufsfeld mehr zu informieren, haben wir uns mit einem Ghostproducer zusammengesetzt und mal nachgehakt: Wie ist das eigentlich?
Ghostproducer: Ein Blick hinter die Kulissen der EDM-Industrie
In zahlreichen Vlogs und auf den Instagram-Accounts der DJs bekommen wir immer mehr Szene aus der Szene zu sehen. Vor allem jungen Menschen wird dabei der Eindruck vermittelt, dass das Musikbusiness mega spaßig und sehr gut bezahlt ist und absolut keine stressige Arbeit darstellt. Wer würde da denn nicht gern das Leben eines Star-DJs führen? Spaß beim Touren haben, seine eigene Musik spielen, von Privatjets an die schönsten Orte der Welt geflogen werden: Klingt doch wie ein Traumjob, oder?
Doch es ist alles andere als leicht dort hinzukommen, wo ein Martin Garrix, Hardwell oder David Guetta heute stehen. Dass alles auch eine Kehrseite hat, wissen wir spätestens seit dem viel zu frühen Tod von Avicii. Und tatsächlich, das Musikbusiness ist manchmal halt doch nicht so rumreich, einfach und spaßig, wie wir es oft vermittelt bekommen.
Steckbrief eines Ghostproducers
Genau an diesem Punkt befand sich auch Alexander Larichev. Wir hatten beim ADE 2018 die Möglichkeit diesen wahnsinnig sympathischen Kerl kennenzulernen. Alexander ist ein russischer Produzent und produziert seit mehr als 10 Jahren elektronische Dance Music. Vor etwa drei Jahren gründete der heute in Amerika lebende Produzent seine Firma „EDM Ghost Production“. Auf dieser Plattform können Ghostproducer ihre Musik verkaufen und DJs die Projekte inklusive der Autorenrechte kaufen.
Mittlerweile sehen die Zeiten für Alexander wesentlich rosiger aus, als es noch vor einigen Jahren der Fall war. Damals hatte Alexander bereits gute Musik, eigene Releases, ja sogar bekannte DJs haben seine Musik supportet. Doch ohne Marketing, Meetings, ein Künstlerbranding und ein gutes soziales Netzwerk war das nicht von großem Nutzen.
Seine Herkunft und die damit verbundenen Problemen der Verständigung in der englischen Sprache, erschwertem ihm die Festigung seines Profils in der Szene. Er organisierte zwar eigene lokale Gigs, doch ging niemals weiter. Das führte dazu, dass er mental zusammenbrach und die Lust am Musikmachen beinahe verlor.
Während er sich abschuftete, sproßen in den Niederlanden neue Sternchen aus dem Boden, die mit ein, zwei Tracks plötzlich die großen Festivalbühnen bespielen durften. Das erhöhte den Druck noch mehr. Moralisch geschwächt, wusste Alexander nicht mehr weiter und war kurz davor, den Traum vom Musik produzieren an den Nagel zu hängen.
Zum Traumjob auf ungewöhnlichem Weg
Zu dieser Zeit arbeitete der Russe in einem kleinen Geschäft als Sales Manager und Administrator. „Wenn man heimkommt, nach 5 Tagen Vollzeitarbeit, hat man an den Tagen einfach keine Energie, noch Musik zu machen“, sagt Alexander. Deshalb seien gerade die Wochenenden ein wahrer Segen für ihn gewesen. Diese nutzte er vollkommen aus und verschanzte sich jedes Wochenende in seinem Studio.
„Plötzlich kam ein enger Freund auf mich zu und bot mir an, einen Track für ihn zu produzieren, den er dann unter seinem DJ Namen spielen könne. Das war ein interessantes Erlebnis, weil er vorschlug einen Track in einem Genre zu schreiben, in dem ich noch nie zuvor gearbeitet hatte.“ Die Arbeit zahlte sich für Alexander aus: Nach einigen Tracks und deren Erfolg in der Musikszene, realisierte er, dass er seinen Job kündigen und seinen Unterhalt mit seinem Lieblingshobby bestreiten könne.
Mit steigender Nachfrage startete der russische Ghostproducer eine Internetseite, auf der er ein „Ghost Production“-Service anbot. Von Monat zu Monat wurde die Seite populärer – Alex stellte weitere Ghostproducer aus verschiedenen Ländern ein.
Heute ist „EDM Ghost Production“ eine Plattform, die mit etwa 500 Ghostproducern zusammenarbeitet und so diesen die Möglichkeit gibt, für das, was sie lieben, bezahlt zu werden.
Das Stigma um den „Ghostproducer“-Begriff – mit dem Mythos brechen
Ein Ghostproducer verkauft seine Musik an andere „und daran ist auch überhaupt nichts falsch“, so der sympatische Russe. Mit dem schlechten Ruf des Ghostproducings möchte Alexander endlich brechen. „Denn Ghostproduzenten haben einige berechtigte Gründe, ihre Produktionen an andere zu verkaufen“, sagt Larichev.
Zunächst können viele Produzenten sich das teure Hobby kaum leisten. Studio Equipement, Plugins, VSTis und Software, all das ist kostspielig. Durch das Ghostproducing können Produzenten an Geld gelangen um dieses wieder in ihre Karriere und ihre Studios zu investieren. Ein recht simples Businessmodell.
Als Artist ist man auch häufig an einen Style oder ein Genre gebunden. Für ein Ghostproduzenten gelten diese Begrenzungen nicht. „Wir haben keine Fans, die traurig sind, wenn wir mal einen Trap Track machen und am nächsten Tag einen Techno-Bunker Banger. Wir können tun und lassen was wir wollen und so spezielle Sound-Designs erkunden, die uns sonst möglicherweise verwehrt geblieben wären,“ weiß Alexander.
Ghostproducing als Side-Gig?
Das führt auch direkt zum nächsten Grund. Einige der Ghostproducer sind nämlich selbst Artists. Und manchmal schreiben sie halt Tracks, die nicht ihrem eigenen Sound entsprechen. Wieso sollte man also diesen Track nicht jemandem anderen überlassen, bevor er in den Tiefen der Festplatte verschwindet und in Vergessenheit gerät?
Persönliche Gründe spielen auch eine Rolle spielen. Es gibt auch Produzenten, die das Tourleben nicht wollen. Ihnen ist das normale Leben angenehmer, ohne Jetlag und Flugstress. Alexander kennt sogar ein paar Ghostproduzenten, die enorme Flugangst haben und niemals fliegen würden.
Vom Verkäufer zum Käufer – die andere Seite der Szene
Laut Larichev sind 40 Prozent der Käufer auf seiner Plattform aus den Vereinigten Staaten, 20 Prozent – und somit die zweitmeißten – kommen aus Deutschland. Dabei ist der Russe beinahe beeindruckt von der Herangehensweise deutscher Käufer. „Im Gegensatz zu anderen Nationen haben deutsche Käufer eine sehr stark businessorientierte Denkweise. Ich kann mich gar nicht so richtig an eine spaßige, emotionale Konversation erinnern, es handelt sich eigentlich immer um b2b-Beziehungen. Das ist aber auch gut, wir verbringen die meiste Zeit damit, die wirklich wichtigen Dinge zu besprechen.“, witzelt er.
Aber wieso kaufen DJs überhaupt Musik und veröffentlichen sie? „Damals waren die DJs dafür bekannt, hauptsächlich Musik von anderen Artists zu spielen. Heutzutage erwartet jeder, dass ein DJ seine Songs komplett selbständig produziert. Es tut mir leid, euch das sagen zu müssen, aber die meisten DJs sind nicht die Einzigen, die involviert sind bei der Produktion eures Lieblingstracks“, sagt Alexander.
Heutzutage ist ein DJ eben nicht mehr nur ein Diskjockey, sondern Alleinunterhalter und Produzent, anders hebt man sich leider nur schwer von der Masse an talentierten DJs ab. Schlussendlich haben also auch DJs Gründe, auf Ghostproducer zurückzugreifen.
Wieso brauchen DJs einen Ghostproducer?
DJs haben oft gute Ideen, die sie aber nicht ideal umsetzen können. Ein Team aus Co-Produzenten, Ghost-Produzenten, Songwritern oder auch einfach Leuten aus dem näheren Bekanntenkreis können dabei helfen, bessere Resultate zu erzielen.
DJs haben gelegentlich keine weitreichende musikalische Ausbildung. Sie sind zum Beispiel gut im Sound-Design und haben brillante Ideen für Arrangements, aber wissen nicht wie sie einen Akkord zu greifen haben. Da können Ghost Producer ein wahrer Segen sein und den DJ bei der Produktion unterstützen.
Außerdem: Einige DJs finden neben ihrem verrückten Tourzeitplan einfach keine Zeit, Gigs und die Produktion von neuer Musik unter einen Hut zu bekommen. Dann können Sie eine Idee an den Produzenten weiterleiten und das Projekt vollenden, wenn der DJ wieder mehr Zeit hat. Ein Ghostproducer kann dabei so gut wie alles, von Sound-Design, über Mixing, bis hin zum Arrangement.
Die andere Seite der Medaille – Der Kampf um die Kredits
Doch auch Ghostproducer haben gelegentlich neben der Bezahlung auch den Wunsch nach öffentlicher Anerkennung. Gelegentlich sind DJs willens, den Ghostproducer in die Kredits aufzunehmen oder die Veröffentlichungsrechte zu teilen. Aber meistens bekommen die Ghost Producer eben nur eine Pauschalgebühr und werden in den Kredits nicht genannt.
Das hängt häufig damit zusammen, dass DJs der Öffentlichkeit nicht zeigen wollen, dass noch jemand anderes bei der Fertigung eines Tracks beteiligt war. Das könnte ja von der Fangemeinde vielleicht schlecht aufgenommen werden. Alexander ist aber zuversichtlich: „Ich denke, die Industrie wird sich in Zukunft anpassen und wir werden mehr Leute in den Credits von Tracks sehen. Dann wird auch keiner mehr die DJs dafür beschuldigen, etwas falsch gemacht zu haben oder unehrlich zu den Fans zu sein.“
Und deshalb verdient Ghostproducing auch gar nicht den Ruf, den es momentan trägt. Es handelt sich schlussendlich um einen ehrenwerten Beruf, und solang alle Seiten zufrieden aus der Geschäftsbeziehung hervorgehen, kann doch nicht alles daran verkehrt sein, oder?
Mehr Infos zu der Arbeit von Alex gibt’s auf https://edm-ghost-production.com und https://ghostproducers.com.
Schon gewusst?
Der wohl bekannteste Ghostproducer im EDM-Bereich ist Marten Vorwerk. Der 38-jährige Niederländer gilt vielen Produzenten als Inspiration, und hatte bei etlichen Mega-Hits seine Finger im Spiel – besonders bei den Releases auf Spinnin' Records...