Ab dem 4. März dürfen hierzulande die Clubs wieder öffnen und auch Großveranstaltungen sollen mit tausenden Besuchern stattfinden. Was heißt das für DJs, Clubs, Veranstalter, Betreiber oder Booker? Wie bereiten sie sich auf diese langersehnte Öffnung vor und was nehmen sie aus den vergangenen zwei Jahren mit?
Bund und Länder haben vor kurzem weitreichende Corona-Lockerungen in drei Stufen beschlossen, die den Alltag der Menschen in den kommenden Monaten spürbar erleichtern werden. So wird ab dem 4. März der Zugang zur Gastronomie für Geimpfte, Genesene und Menschen mit tagesaktuellem Test ermöglicht. Auch für Übernachtungsangebote gilt dann diese Regel. Diskotheken und Clubs werden für Genesene und Geimpfte mit tagesaktuellem Test oder mit dritter Impfung (2G-Plus) geöffnet.
Doch was heißt das nun für DJs, Clubs, Veranstalter, Betreiber oder Booker? Wie gehen sie mit der Situation um? Um das herauszufinden, haben wir mit Anna Reusch gesprochen.
Anna ist aus der Techno-Szene nicht mehr wegzudenken. Bereits mit 15 Jahren lernte sie die Grundlagen des Handwerks und übte, so viel es geht. Nur zwei Jahre später unterschrieb sie ihren ersten Vertrag bei ZYX Music und von da an ging es noch steiler bergauf.
Mittlerweile legt sie auf den angesagtesten Festivals und in den beliebtesten Clubs auf. So vertrauen legendäre Locations wie die Prater Sauna, das Bob Beaman, das Douala, das Tanzhaus West oder das Bootshaus auf ihr Können. Ihre Musik hat sie bisher auf Labels wie Transmit Recordings, Tronic Music, Riot Recordings und weiteren Techno-Giganten veröffentlicht.
Hallo Anna. Fast zwei Jahre lang hattest du keine Club-Gigs, kaum Festival-Auftritte. Wie ist das für dich gewesen, deinen Job und alles, was du dir die Jahre aufgebaut hat, einfach nicht mehr richtig ausüben zu können?
So richtig finde ich da noch immer keine Worte für. Unglaublich war und ist das alles. Es schwankte in den verschiedenen Phasen bzw. Lockdowns zwischen Angst, Fassungslosigkeit, Wut und Optimismus. Ich war der Sache von Anfang an sehr kritisch und nüchtern gegenüber eingestellt, habe das aber nicht groß kundgetan, weil ich zum einen kein Prediger bin und zum anderen damit auch in eine Ecke gedrängt worden wäre.
Mittlerweile kann man sich, zum Glück, auch wieder kritisch äußern, ohne gleich als Corona-Gegner abgestempelt zu werden. Diskurs ist wichtiger denn je. Diese Zeit hat in vielen Menschen das Beste, aber auch das Schlechteste zum Vorschein gebracht und als man anfing zu kategorisieren, war ich heilfroh, auf meiner kleinen Farm in einer Bubble zu leben. Ich bin für so vieles unheimlich dankbar und glücklich, was wie in Deutschland gehandhabt wurde, allein die Wirtschaftshilfen sind wohl beispiellos. Aber manche Mittel werden damit nicht geheiligt.
Ich versuchte mich immer wieder zu motivieren, die Zeit für meine privaten Sachen zu nutzen. Ich las wie verrückt, verbrachte unheimlich viel Zeit mit meinen Tieren, arbeitete an der Farm weiter und habe ein spannendes Projekt auf den Weg gebracht, welches hoffentlich im Laufe des Frühjahres konkret wird und mir ein weiteres Standbein ermöglicht.
Bist du auch produktiver beim Produzieren geworden?
Produziert habe ich während dieser Zeit wenig. Alles, was mir vorher Input oder Inspiration gegeben hat, war ja weg. Als mir 2021 erneut ein Release in den Lockdown gerutscht ist (war 2020 schon der Fall) habe ich nichts mehr weggeschickt und mir vorgenommen, erst wieder zu veröffentlichen, wenn es auch möglich ist zu spielen. Allein schon des Testens vor Publikum wegen. Im April steht der nächste Versuch an.
Rückblickend hat es mich unheimlich gefestigt, weiterentwickelt, ernüchtert und entschleunigt. Ich wünschte mir, die Situation früher angenommen zu haben, weil ich Zeit vergeudete, indem ich mich über Dinge ärgerte, die ich nicht ändern konnte. Aber es war mir eine Lehre.
Ab dem 4. März dürfen die Clubs wieder öffnen. Ich nehme an, damit fällt eine gewisse Last von dir, da du noch bis vor kurzem nicht wusstest, wann es nun weitergeht?
Es fällt ein gigantischer Stein vom Herzen. In unserer Branche arbeitet doch niemand einfach so. Licht, Ton, Künstler, Kreative, Betreiber… in all diesen Bereichen findet man nur Leute, die mit vollem Herzen dabei sind. Wenn solchen über so eine lange Zeit die Möglichkeit genommen wird der Leidenschaft in vollem Umfang nachzugehen, lebt man zwar ein gutes Leben hier in Deutschland, aber die Höhepunkte fehlen. Die Gefühlsausbrüche, von denen man tagelang zehrt, die Bekanntschaften, die Gruppendynamik.
Wie bereitest du dich darauf vor? Gibt’s schon viele Anfragen von Clubs, die dich im März / April buchen wollen?
Ich freue mich unheimlich, dass mein Kalender sich rasant füllt und es schon im März richtig losgeht. Aber zu der Freude gesellt sich auch jede Menge Respekt, da ich völlig aus der Routine bin. Ich kannte meine Playlists fast auswendig, wusste wie welche Tracks wo funktionieren. Die meisten Tracks der letzten zwei Jahre habe ich noch nie vor Publikum gespielt. Dazu ist mein Körper nun ans Schlafen um 22 Uhr gewöhnt – der wird sich wundern die nächsten Wochen. Doch ich freue mich riesig darauf, wieder spielen zu können und auf alles, was dazu gehört. Denn selbst die vermeintlich anstrengenden Seiten wurden durch die letzten zwei Jahre deutlich relativiert.
Im März 2020 hätte sicher niemand damit gerechnet, dass von heute auf morgen die Clubs zu machen. Heutzutage sind wir zumindest vorbereitet und wissen, dass so etwas kommen könnte. Was ist, wenn es nochmal Einschränkungen gibt oder sogar die Clubs wieder schließen? Wärst du darauf vorbereitet, bzw. wie ist das für deine Zukunftsplanung? Hat sich in dieser Hinsicht etwas geändert?
Ganz klar ja. Ich bin viel viel vorsichtiger. Im März 2020 befand ich mich mitten in einer großen Baumaßnahme, renovierte seit Jahren ein Hofgut und sparte nicht allzu viel, weil mein Terminkalender voll war. Darauf verlasse ich mich nicht mehr. Ich weiß, dass in vielen Bereichen in Deutschland auf hohem Niveau gejammert wird. Aber ich möchte, so gut es geht, selbst für den worst case vorsorgen, zumal ich einige Fellnasen versorge. Oben angesprochenes Projekt kommt hoffentlich zum Tragen und wäre somit ein weiteres Standbein.
Mit den, unter anderem während Corona entstandenen Interessenvertretern, z.B. Alarmstufe Rot, haben wir nun endlich Sprachrohre, über die unsere Branche schneller mehr Aufmerksamkeit erfährt, sowie eine Anlaufstelle hat. Das freut mich. Darüber hinaus hoffe ich sehr, dass wir nun endlich lernen, damit zu leben und – Himmelherrgott – präventiv agieren. Damit wir hoffentlich nicht mehr in eine solche Situation geraten. Viele halten mich vielleicht für naiv, angesichts der letzten Jahre an sowas zu glauben, aber um es mit Kants Worten zu sagen: „Drei Dinge helfen, die Mühseligkeiten des Lebens zu tragen: Die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen.“
Vielen Dank Anna!
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Fotocredit: Anna Reusch
Schon gewusst?
Anna Reusch steht nicht nur hinter den Turntables, sondern sitzt gerne auch mal auf dem Pferd. Sie reitet Dressur und sobald sie einen Track hört, überlegt sie, ob sie dazu reiten könnte. Pferde und selbstverständlich auch andere Tiere leben übrigens auch auf ihrem Bauernhof und geben der gebürtigen Wiesbadenerin den Ausgleich, den sie braucht, wenn sie am Wochenende in den Städten und in den Clubs sowie auf den Festivals unterwegs ist.
Franz Beschoner
Head of Editorial / franz@djmag.de